Studium: Abspringen oder um jeden Preis durchziehen?

Ein Studium abzubrechen kostet Zeit, Geld und Nerven. Warum es trotzdem manchmal Sinn macht, einen Umweg zu gehen:

Felix sitzt auf der Bühne, auf dem Schoß seine neue Gitarre. Vorsichtig dreht er an dem obersten Wirbel, zupft an einer Saite und dreht erneut. Nach jedem Ton wandert sein Ohr etwas weiter Richtung Schallloch, als wolle er kein Geräusch verpassen. Zwei Jahre lang hat er auf das Instrument gespart. 6.000 Euro verdient man als unbekannter Jazzgitarrist nicht mal eben an einem Abend. Aber das ist es wert. Felix hat sich seinen Traum erfüllt: Ein Leben als Musiker.

Es läuft nicht schlecht. Er spielt in mehreren Jazz-Ensembles, hat mindestens drei Auftritte die Woche, die Musik macht ihn glücklich. Hätte er sein Erststudium beendet, dann würde er jetzt im Büro einer Kanzlei sitzen oder im Gerichtssaal stehen, er würde das Dop-pelte verdienen und wäre vermutlich nicht halb so zufrieden. Felix hat sieben Semester lang Jus studiert. Schon in der Schule interessierte er sich für Rechtswissenschaften und als er die Aufnahmeprüfung für „Lehramt Musik“ nach der Matura nicht bestand, war Jus für ihn die logische Alternative. Zwei Jahre lang hatte er Spaß am Studium, trotzdem fing er nach einem Jahr an, nebenbei auch „Jazz Gitarre“ am Prayner Konservatorium zu studieren. Eine große Jus-Prüfung, an der er zwei Mal scheiterte, brachte ihn schließlich zum Nachdenken.
Er fand das Studium nicht langweilig, konnte sich aber immer weniger vorstellen, wirklich einmal in diesem Berufsfeld zu arbeiten. Nach Gesprächen mit Freunden und Eltern war die Entscheidung gefallen: Felix konzentrierte sich voll und ganz auf sein Musikstudium.


Für seinen dreieinhalbjährigen Ausflug in die Rechtswissenschaften zahlte der Staat rund 40.000 Euro. Denn laut Uni-Bericht 2011 kostet ein Studienplatz durchschnittlich 11.252 Euro pro Jahr, ein volles Studium im Schnitt 106.788 Euro. Studienabbrecher sind doppelt teuer, denn so gehen den Unternehmen gut ausgebildete Fachkräfte verloren, anderen Studie-renden fehlt der Studienplatz und dem Staat die Steuereinnahmen. Maturanten verdienen im Durchschnitt mit 20.691 Euro um rund 5.000 Euro weniger als Akademiker mit einem an-fänglichen Jahresverdienst von 25.635 Euro. In Österreich schlossen in den vergangenen 13 Jahren von insgesamt 766.362 Studierenden an 21 Hochschulen fast 400.000 das Studium nicht ab – beinahe jeder zweite endete also als Studienabbrecher.


Die Gründe dafür sind vielfältig und oft auch sehr persönlich. „Den typischen Studienabbrecher gibt es nicht“, sagt der Rektor der Dortmunder Fachhochschule Prof. Dr. Wilhelm Schick in einem Spiegel-Interview. Der österreichische Ökonom Friedrich Schneider behauptet hingegen: „Es fehlen die richtigen Anreize zum Studieren. Viele studieren nur des-halb, weil das besser ist, als nach der Matura arbeitslos zu sein.“ Die Studienabbrecher selbst geben als Hauptgrund häufig mangelndes Interesse an dem Fach und Nicht-Erfüllung ihrer Erwartungen an. Das Problem beginnt also früher: Viele Studierende entscheiden sich von Anfang an für das falsche Studium. Bessere Beratung und Vorbereitung auf das, was einen erwartet, könnte diesen Fehler eindämmen.


Vielleicht hätte Felix schon vor dem Studium mal ein Praktikum bei einer Anwaltskanzlei machen sollen, um zu sehen, was ihn im Anwaltsjob tatsächlich erwartet. Doch nachher ist man immer schlauer und eigentlich bereut Felix seinen Umweg gar nicht. Viele Studienabbrecher stehen sehr selbstbewusst hinter ihrer Entscheidung und sehen den Einblick in einen Fachbereich, den sie durch das angefangene Studium bekommen haben, als Bereicherung.

 

Maturanten verdienen im Durchschnitt rund 5.000 Euro weniger als Akademiker.


Sarah begann nach der Matura ein Studium der technischen Physik, nahm dann im zweiten Jahr noch Maschinenbau hinzu – ihre Noten waren gut, sie fand schnell Freunde. Und doch merkte sie nach zwei Jahren, dass sie eigentlich was ganz anderes machen will: „An der TU sind alle sehr eingebildet. Wir haben uns immer über Geisteswissenschaftler lustig gemacht. Da war der Schritt zu wechseln natürlich doppelt schwer.“ Sarah wirkt ruhig und zielsicher. Man bekommt das Gefühl, die zierliche, junge Frau wisse ganz genau, was sie will. Vielleicht muss man das auch, um den Mut zu haben, den Eltern zu erklären, dass man statt der tech-nischen Karriere nun Sprachwissenschaften studieren wird.


Ökonom Friedrich Schneiders Lösung wird vielen Studenten nicht gefallen: Er empfiehlt Studiengebühren und Eingangsprüfungen, um sicherzustellen, dass die für das jeweilige Fach geeigneten und interessierten Personen mit einem Studium beginnen. Seine Studie im Auftrag des Instituts Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS) hat gezeigt, dass die Medizinische Universität Wien, an der es Aufnahmetests gibt, mit 23,5 Prozent die geringste Studienabbrecherquote unter den 21 österreichischen Hoch schulen hat. Doch weder Sarah noch Felix hätte eine Eingangsprüfung von ihren Vorhaben abgebracht. „Die zwei Jahre sind für mich nicht verloren. Ich habe einen tollen Freundeskreise gefunden und Einblicke in Bereiche bekommen, die ich sonst nicht kennen würde. Ich habe viel gelernt“, so Sarah über ihr TU-Studium. Vielleicht ist es in einer Zeit, in der Bachelor-Studien immer weniger Freiräume lassen und zunehmend verschulter werden, gar nicht schlecht, auch noch Wissen in einem anderen, vielleicht sogar gänzlich konträren, Fachbereich zu erhalten. Sind Menschen mit einem nicht geradlinigen Lebenslauf nicht auch für Personalverantwortliche interessanter und bekommen vielleicht sogar die besseren Jobs?

Ein Studienplatz kostet pro Jahr durchschnittlich 11.252 Euro.


Berufsberaterin und Autorin Uta Glaubitz weiß, dass Engagement für die meisten Karrieren wichtiger ist als ein homogener Lebenslauf. „Wenn man selbst überzeugt ist von dem, was man tut, dann kann man auch andere von sich überzeugen“, so Glaubitz. Bewirbt man sich auf eine spannende Stelle, müssen HR-Abteilungen hunderte Bewerbungen durcharbeiten. Wichtig ist da vor allem, aus der Masse herauszustechen. Das kann sowohl durch ein interessantes Hobby oder einen außergewöhnlichen Nebenjob sein, als auch durch einen Studienwechsel. Wichtig ist hier vor allem eine gute, für den Personaler klar nachvollziehbare Erklärung zu finden, die unter Umständen sogar das Interesse an den Jobinhalten noch hervorhebt. „Ich würde generell davon abraten, den eigenen Lebenslauf danach auszurichten, was Arbeitgeber angeblich gerne sehen und was nicht. Wer nur den Ansprüchen anderer hinterherläuft, wirkt unglaubwürdig und schwach. Das macht in keiner Branche einen guten Eindruck“, ermuntert Glaubitz ihre Klienten immer wieder auch zum Studienwechsel oder -abbruch.


Auch für Rebecca war bereits nach wenigen Wochen Informationsmanagement-Studium klar: „So habe ich mir meine berufliche Zukunft nicht vorgestellt.“ Stattdessen suchte sie sich einen Job, arbeitete unter anderem als technische Sachbearbeiterin in großen Firmen, und musste irgendwann feststellen, dass ihrer Karriere ohne ein abgeschlossenes Studium Grenzen gesetzt waren. Nach fünf Jahren im Beruf gab Rebecca dem Studieren noch eine zweite Chan-ce und begann berufsbegleitend den Studiengang „Produktmanagement“ an der Fachhochschule Wieselburg. „Ich bin froh, dass ich nach der Matura ein bisschen ins Studentenleben reinschnuppern konnte. Aber erst im Berufsleben wurde mir klar, was mich wirklich interessiert. So konnte ich mir, dank regelmäßigen Einkommens ein Leben aufbauen und studiere jetzt genau das Passende“, erzählt Rebecca. Ältere Studierende mit Berufserfahrung entscheiden sich viel bewusster für ein Studium und wissen bereits vorher, was sie danach arbeiten werden.


Die Hochschulstatistik des BMWF zeigt, dass der Hauptgrund eines Studienabbruchs bei Personen unter 21 Jahren mit fast 20 Prozent „Erwartungen nicht erfüllt“ hieß. Bei Personen über 25 Jahren war das nur noch bei 1,3 Prozent der Fall. Die Gründe eines Studienabbruchs sind hier zu fast fünfzig Prozent „Unvereinbarkeit mit Beruf oder Familie“. Rebecca hat ihren Studienwunsch zuvor mit ihrem Arbeitgeber besprochen, der sie bei ihrer Weiterbildung unterstützt. Aktuell arbeitet sie nur 30 Stunden, die Kurse des berufsbegleitenden Studiums finden meistens geblockt am Wochenende statt. „Natürlich ist Job und Studium eine Doppelbelastung, aber ich habe ein klares Ziel vor Augen und außerdem ein geregeltes Einkommen.“ Die Oberösterreicherin ist nicht der Typ für Studenten-WGs und Nudeln mit Ketchup am Ende des Monats. Die Möglichkeit, dem Studium – neben ihrem Job – gut strukturiert auf der FH nachzugehen, ist für Rebecca die perfekte Lösung.


Während Felix sein Studium der Jazzgitarre bereits erfolgreich abgeschlossen hat, beteuern Sarah und Rebecca, ihr zweites Studium auch beenden zu wollen. Eine kluge Entscheidung, wirft man einen Blick auf den aktuellen Arbeitsmarkt: Nur vier Prozent der österreichischen Arbeitslosen sind Akademiker, der mit Abstand größte Anteil davon hat überraschender Weise Betriebswirtschaften oder Rechtswissenschaften studiert. Doch das ist nicht der einzige Grund, weswegen Felix sehr zufrieden mit seiner Entscheidung ist. Auf die Frage, ob er es manchmal bereut, das Jus-Studium nicht doch bis zum Ende durchgezogen zu haben, grinst er und blickt liebevoll auf die Gitarre in seinem Schoß. Die Antwort ist eindeutig.

Fotos: Shutterstock

Autorin
Anna Gugerell
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