Öffnung der Wiener Staatsoper für alle

Als kaufmännische Geschäftsführerin der Wiener Staatsoper leitet Dr. Petra Bohuslav eine der wichtigsten Kulturinstitutionen
Österreichs. Im STEIL-Interview spricht sie unter anderem über ihren Alltag, neue Herausforderungen und welche Ziele sie sich
gesteckt hat, um die Wiener Staatsoper auch für nachfolgende Generationen zu bewahren.

STEIL: Frau Dr. Bohuslav, Sie blicken auf zahlreiche Jahre in der Politik zurück. Was hat Sie schließlich dazu
bewogen, im Kulturbereich Fuß zu fassen?
Von meiner Seite her gibt es ein ganz klares Kunst- und Kulturinteresse. Kultur macht schließlich den Kopf frei und lässt in eine ganz andere Gedankenwelt eintauchen. Im Carnuntum habe ich erstmals große berufliche Verantwortung im Kulturbereich übernommen. Die Herausforderung damals war es, dieses österreichische Kulturgut bestmöglich allen Zielgruppen, von Kindern bis hin zu Archäologen, zu vermitteln. Auch die Staatsoper soll sich öffnen und allen zugänglich gemacht werden. 

Mit welchen neuen Herausforderungen werden Sie als kaufm. Geschäftsführerin in der Staatsoper konfrontiert?
Unter anderem mit der Entwicklung eines Coronamanagementkonzeptes, um dabei den Spielbetrieb überhaupt erst garantieren zu können, aber auch die Umstrukturierung der Verkaufsstruktur und des Betriebs selbst. Früher war die Staatsoper im Grunde
ein Selbstläufer, viele Vorstellungen waren in kurzer Zeit ausverkauft, alles lief wie geschmiert, ohne gröbere Anpassungen. Die Gründung einer Marketingabteilung war nur eine der vielen Veränderungen der letzten 1,5 Jahre.

Kurzer Blick hinter die Kulissen: Wie können sich unsere Leser*innen den Alltag einer Kaufmännischen Geschäftsführerin der Wiener Staatsoper vorstellen?
Mein Alltag ist eine Mischung ausständiger Problemlösung und kreativem Austausch mit dem Team, um den Betrieb weiter fortsetzen zu können. Dabei fängt die Woche mit wesentlichen Fixterminen wie den Abstimmungen über die Verkaufsstrategie, Treffen mit der Rechts-, Controlling- und Marketingabteilung bis hin zur Technik und Gebäudeverwaltung an und es kommen laufend neue Aufgaben dazu. Kommunikation im Haus und der Austausch mit Kulturinstitutionen in und um Österreich sind dabei essenziell.

Die Wiener Staatsoper ist Teil der österreichischen DNA. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt, um dieses Kulturgut auch für nachfolgende Generationen zu bewahren und bestehende Zielgruppen weiter zu durchdringen?
Meine Vision ist, dass jede*r Österreicher*in mindestens einmal im Leben in der Staatsoper war. Am besten natürlich bei einer Vorstellung, es kann aber auch eine Führung oder andere Veranstaltung sein. Mir ist es ganz wichtig, österreichische Kulturgeschichte so passend zu vermitteln, dass ich keine Zielgruppe ausschließe, sondern alle abhole. Dazu braucht es natürlich kreative Projekte und entsprechende Marketingmaßnahmen, wie U27, die Öffnung des Hauses für die jungen Generationen. Mir geht es aber auch darum, bereits die Kleinen beispielsweise in einer Kinderoper zu begeistern. Im Februar 2021 haben
wir zum Beispiel einen kostenlosen Kunst- und Architekturrundgang angeboten und so Menschen ermöglicht, die Staatsoper auf eine ganz neue Art und Weise kennenzulernen. Es war ein großer Erfolg und die über 1.000 Teilnehmer*innen (primär Familien) zeigten sich im Anschluss auch an unseren Vorstellungen interessiert.

Die Staatsoper hat also aus Ihrer Sicht einen klaren Bildungsauftrag zu erfüllen?
Ja, sowohl musikalisch als auch historisch. Allein die Tatsache, dass die Staatsoper gemeinsam mit dem Wiener Stephansdom eines der ersten Gebäude war, das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder errichtet wurde, zeigt, welche Bedeutung und Wichtigkeit die Staatsoper im Leben der Österreicher*innen einnimmt.

Konnten Sie im Rahmen der Coronapandemie bislang auch Veränderungen des Konsumverhaltens in der Staatsoper feststellen?
Ja, es hat Veränderungen gegeben. Durch die allgemeine Unsicherheit, was die nächste Verordnung bringen wird, ist alles viel kurzfristiger und vorsichtiger geworden. Zum Teil werden Karten erst am Tag selbst gekauft, nachdem das Ergebnis des PCR-Tests da ist. Am Tag der Veranstaltung Karten zu kaufen, hat es hingegen früher kaum gegeben. Ich hoffe allerdings, dass bald wieder eine längerfristige Planung möglich sein wird.

Auf welche (neuen) Marketingstrategien setzen Sie zurzeit, um insbesondere die junge Generation zu erreichen?
Wir setzen stark auf Social Media und haben mehr in Studentenheimen und an Universitäten geworben. Im Bereich des Influencer-Marketings sind wir zurzeit jedoch noch zurückhaltend, vielleicht auch weil wir noch keine passenden Testimonials gefunden haben. Schließlich soll es nicht einfach ein tolles Modeshooting sein. In dieser Saison haben wir erstmals eine Ö3-Kampagne für U27 gemacht. Da haben wir einen ganz starken Anstieg der Kartenverkäufe feststellen können. Insbesondere das U27-Programm in Zusammenarbeit mit Ticketgretchen funktioniert sehr gut. Hervorzuheben sind auch unser Newsletter und die neue Möglichkeit, Generalproben zu einem Spezialpreis zu besuchen. Für 10 € ist es allen U27 möglich, bereits vor der Premiere in das Stück zu schnuppern. Das hat schon ein besonderes Flair.

Stichwort Digitalisierung im Kulturbereich. Wo findet diese Einzug in der Wiener Staatsoper?
Digitalisierung sehe ich vor allem im Kommunikationsbereich, sie zieht aber auch in einigen weiteren Bereichen ein. Was es schon länger gibt, sind Tablets auf den Sitzplätzen mit Untertiteln in verschiedenen Sprachen sowie die Verwendung audiovisueller Medien im Rahmen von Stücken, wie das Einspielen von SMS-Nachrichten auf großen Videowalls bei „La Traviata“. Ein großes Projekt ist außerdem die Digitalisierung des Musikarchives. Insbesondere während der Lockdowns haben sich auch Streamingdienste bewährt, um Zeichen aus der Wiener Staatsoper zu senden, diese werden jedoch die Live-Vorführungen nicht ersetzen. 

2022 muss leider erneut auf den Wiener Opernball verzichtet werden. Was bedeutet das für die Staatsoper aus wirtschaftlicher Sicht?
Dass der Opernball sehr gewinnbringend ist, ist kein Geheimnis. Das fällt also heuer weg. Wir sind aber gerade dabei, den Opernball neu zu konzipieren. In Zukunft wird es unter anderem statt einer einzigen Opernballdame ein ganzes Komitee geben. Der Opernball ist also für heuer abgesagt worden, wir arbeiten allerdings bereits am Opernball 2023 mit neuen Ideen, neuem
Komitee und neuen Konzepten.

Betrachten wir die Staatsoper kurz im internationalen Vergleich. Wo befindet sich die Wiener Staatsoper? Inwieweit beeinflussen Sie Opernhäuser wie das Royal Opera House in London oder die Mailänder Scala?
Die Wiener Staatsoper gehört zu den drei wichtigsten Opernhäusern der Welt. Das macht uns einerseits stolz, ist aber natürlich auch eine große Verantwortung im Hinblick darauf, wie man mit der Wiener Staatsoper managementmäßig umgeht. Wir wollen
also diesen hohen Imagewert weitertragen, es ist aber auch unsere Verpflichtung, diesen weiter auszubauen. Dementsprechend gibt es natürlich Austausch mit anderen Opernhäusern, wir können aber selbstbewusst sagen, dass sich viele internationale Opernhäuser die Wiener Staatsoper als Vorbild nehmen.

Wie lässt sich ein Spielplan und dessen Auslastung wirtschaftlich planen, welche Stücke verkaufen sich besonders gut?
Wir sind ein Repertoiretheater. Natürlich merkt man die Unterschiede der Inszenierungen. Wie der Spielplan aufgesetzt wird, ist aber in erster Linie eine künstlerische Entscheidung. Klar, muss man einen guten Mix bringen, auch zeitgenössische Opern wie das Stück „Das verratene Meer“, die nicht jedermanns Sache sind, sollen ihren Platz finden. Das spiegelt sich dann auch in der Auslastung wider und unterscheidet sich natürlich von einem Opernabend mit Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann auf der Bühne. Welche Inszenierung und wer auf der Bühne steht, wirkt sich somit wirtschaftlich aus. Das sind allerdings klar Entscheidungen des künstlerischen Direktors. Mein Part ist es, diesen Spielplan in einen wirtschaftlichen
Budgetrahmen zu setzen.

„La Traviata“, „Nabucco“ oder zeitgenössische Inszenierung – haben Studierende Präferenzen?
Das geht quer durch die Bank. Es geht etwas in die Richtung: Erlebnis Oper und dann schaue ich, was an dem Tag, an dem ich Zeit habe, gespielt wird. Aber Hauptsache Staatsoper. Im Dezember waren beispielsweise bei Richard Wagners „Parzifal“, und das ist wirklich harter Stoff, sehr viele U27. Mittlerweile haben wir ein sehr gemischtes Publikum, das ist wirklich
erfreulich und genau, wie es sein soll.

Sie sind selbst Absolventin der WU Wien. Welche Karrieretipps möchten Sie WU-Studierenden gerne auf den Weg mitgeben?
Zwei Dinge: Ins Ausland gehen – das ist unglaublich wertvoll, nicht nur für die fachliche Ausbildung, sondern auch für die menschliche Entwicklung. Und dann neugierig und offen zu bleiben, nicht nur im Studienbereich, sondern auch darüber hinaus
immer über den Tellerrand zu blicken.

Ihre Lieblingsoper?
Da gibt es einige. Was mich in letzter Zeit besonders beeindruckt hat, war „Poppea“, eine Barockoper, bei
der sowohl die gesangliche Qualität als auch die körperliche Anstrengung beachtlich sind. Ich hab für mich allgemein festgestellt, dass je mehr Choranteil eine Oper hat, desto beeindruckender diese für mich ist.

 

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