STEIL: Nach rund fünfmonatigen Umbauarbeiten öffnete im Oktober der Meinl am Graben wieder seine Einkaufspforten. Was war der Anlass für die Verjüngungskur?
Udo Kaubek: Verjüngungskur ist das falsche Wort. Ein Geschäft hat eine Lebenserwartung. Nach 10 Jahren ist eine Filiale normalerweise tot. Unsere letzten Umbauarbeiten waren 1999. Es war also für uns an der Zeit, unser Geschäft bedarfsentsprechend zu adaptieren. Unser Bestreben war jedoch immer, den Charakter des Geschäfts nicht zu verändern.
Welche Reaktionen unter den KundInnen haben Sie bisher wahrgenommen?
Wir sind in Österreich. Wenn man etwas ändert, gibt es Leute, die dafür sind, und welche, die dagegen sind. Alles andere würde mich auch überraschen. Der Mehrheit gefällt es aber.
Mit den Veränderungen in der Verkaufsfläche geht der Einsatz von in Österreich noch unbekannten Warenpräsentationstechniken einher. Was kann man sich darunter vorstellen?
Was Warenpräsentationstechniken betrifft, nehmen wir eine Vorreiterrolle ein. Mit unseren Verkaufspyramiden waren wir schon in der Vergangenheit die Ersten. Diese wurden später auch von der Konkurrenz übernommen. Wenn man eine Bühne kreiert, muss man diese jedoch auch richtig bespielen. Und das können wir. Neu ist unsere Obst- und Gemüsepräsentation, eine Wand mit Schalen. Die Idee stammt aus Amerika. Dadurch sparen wir Platz und reduzieren den Warenlagerbestand in der Filiale. Das Obst und Gemüse ist dadurch viel kürzer dem Filialklima ausgesetzt. Durch das ständige Nachschlichten ist es allerdings personalintensiver.
Diskussionen rund um einen reduzierten Plastikverbrauch finden auch im Lebensmittelbereich Raum. Welche Schritte setzen Sie in diesem Zusammenhang?
Ich bin kein großer Fan von Plastik. Wir waren beispielsweise die ersten, die Plastiksackerl verbannt haben. Im Obst- und Gemüsesegment kommen bei uns kaum Prepackages zum Einsatz. Immer kommt man heutzutage allerdings noch nicht am Plastik vorbei – Verpackung dient schließlich der Produktsicherheit. Wo der Lebensmittelhandel zurzeit sicherlich die meisten Verpackungen produziert, ist im Online-Business und das steigt an. Hier bin ich für Kostenwahrheit.
Als Gourmettempel der Wiener Innenstadt stehen Sie für kulinarische Diversität – worauf basieren Sie Ihre Produktentscheidungen?
Ich verwirkliche mich selbst. Das, was ich gerne mache, machen Hunderttausende von Menschen auch. Was Essen und Trinken betrifft, habe ich sicher ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Ich koste außer bei Spirituosen jedes Produkt, das bei uns ins Sortiment kommt. Man soll gar nicht glauben, wie viele Key Account Manager noch nie ihre Produkte gekostet haben.
Woran erkennen Sie, dass für potenzielle Produkteinführungen Nachfrage bestehen könnte?
Es gibt keine Nachfrage. We’re creating demand. Grundbedürfnisse zu decken ist unsere ursprüngliche Funktion, damit werden wir aber nicht reich. Heute zerlegt man Zahlen, versucht Trends zu finden – das ist einerseits richtig, andererseits falsch. Ein Trend ist eine Bestätigung. Man darf sich aber nicht selbst belügen. Wenn ich auf einen Trend reagiere und das Sortiment erweitere, ist es keine große Überraschung, dass sich der Trend bestätigt und verstärkt. In unserer kurzweiligen Welt hinterfragt jedoch keiner die wirklichen Gründe. Darüber, dass die Nachfrage und der Trend also selbst generiert werden, reden wir nicht, wir freuen uns stattdessen über den Erfolg. Die KundInnen selbst kommen nicht auf die Idee, Heuschrecken essen zu wollen – wir kreieren Nachfrage. Aber natürlich schaue ich mir Trends an, jedoch nicht in Österreich.
Wo suchen und finden Sie also neue Trends?
Big Players sind nach wie vor die USA. Vor sieben Jahren in Amerika, vor drei Jahren in London und heute in Wien –trifft auch jetzt noch zu. Durch diese Adaptionsphasen genossen wir beispielsweise bei Oreos lange einen Exklusivitätsstatus. Natürlich kommen durch die Filmwelt sehr viele Verhaltensregeln und -muster nach Europa, Werbung spielt schließlich im Unterbewusstsein. Man braucht sich nur das Barbecue ansehen. Während wir früher alle gegrillt haben, zelebrieren
wir heute regelrecht das BBQ. Mein Bestreben ist, neue exklusive Produkte nach Österreich zu bringen.
Wie sieht die Beschaffung dieser Produkte zurzeit aus?
Wir leiden momentan ganz schwer unter dem Brexit – die Engländer noch mehr. England ist für uns schließlich ein extrem wichtiger Beschaffungsmarkt, da sie sehr viele Produkte aus den USA haben. Vor dem Brexit war das für uns aus Produkthaftungssicht ein großer Vorteil. Jetzt sind wir oft der Erstinverkehrbringer und haften somit. Ich weiß nicht, wie viele Paletten zurzeit zwischen London und Wien herumschwirren. Es sind jedoch einige und wir wissen nicht, wann
sie uns erreichen werden. Das spielt auch beim diesjährigen Weihnachtsgeschäft eine große Rolle.
Welche Trends in der Ernährung stellen Sie momentan fest?
Wir haben im Lebensmittelhandel aktuell keine Trends. Wir spielen Themen, momentan haben diese mit der Ernährung allerdings wenig zu tun. Vegane und vegetarische Produkte sind mittlerweile nichts Neues mehr.
Wer sind Ihre KundInnen?
Viele glauben immer, unsere Kernkundschaft sind „Hofratswitwen“. So viele Hofratswitwen, wie wir für ein funktionierendes Geschäft brauchen würden, gibt es auf der ganzen Welt nicht. Das ist nicht unsere Klientel. 60–70 % unserer KundInnen sind mit Sicherheit unter 60 Jahre alt. Am Wochenende sind es rund 30 Prozent TeenagerInnen, die auf der Suche nach ausgefallenen Produkten sind und bei uns schließlich fündig werden. Man soll nicht glauben, dass sich junge Leute heute nicht mit Lebensmitteln beschäftigen. Ganz im Gegenteil: sicherlich
mehr als der/die durchschnittliche ÖsterreicherIn.
Meinl am Graben lädt also dazu ein, ausgefallenere Lebensmittel zu probieren. Was sind Ihre persönlichen Favoriten unter den Gourmet- Exoten?
Das ist, wie wenn man seine Eltern fragen würde, welches Kind sie am liebsten haben. Fragen Sie mich also nicht. Man freut sich natürlich, wenn manche Produkte besonders gut ankommen und möchte wissen, wieso manche eher weniger beliebt sind. Bei Zweiterem schafft die richtige Produktplatzierung dann oft Abhilfe. Die Weihnachtszeit steht vor der Tür.
Welche Bedeutung nimmt das Weihnachtsgeschäft für Meinl am Graben ein?
Wir machen im Dezember 20 % unseres Umsatzes. Das Weihnachtsbusiness ist sicher unsere Kernkompetenz. Hier setzen wir schon immer Trends, sei es bei Panettone, Lebkuchen oder Plum Pudding. Das ist eine Philosophiefrage. Wir sind kein Supermarkt – ein Supermarkt ist ein Markt.Wir gehen also auf Spezialität, wir haben beispielsweise sieben Bäcker und suchen uns von allem das Beste aus. Das gibt es nur bei uns.
Was sind Ihre Bestseller in der Weihnachtssaison?
Rindslungenbraten und Beinschinken – wir sind also in der Frische zu Hause. Sie ist unser Kerngeschäft und hier machen wir den meisten Umsatz.
Welche Weihnachtssüßigkeit darf bei Ihnen an Heiligabend nicht fehlen?
Die Rumkugeln meiner Mutter. Wenn die fehlen, dann werde ich sauer.
Sie sind selbst Absolvent der WU Wien. Was können Sie Studierenden mitgeben? Was hat Sie selbst inspiriert?
Wir werden geprägt. Das Prägendste ist sicherlich das Elternhaus. Meine Eltern haben mich immer machen lassen, was ich machen wollte. Für mich war jedoch immer klar, an die WU zu gehen. Mein Tipp: neben dem Studium arbeiten. Und zwar nicht, was einem gesagt und empfohlen wird, sondern wofür das Herz brennt. Lebensmittel sind meine Leidenschaft und dafür brennt mein Herz.