Nachhaltiger Konsum – wer trägt die Verantwortung?

Seaspiracy ist in aller Munde und schlägt weltweit hohe Wellen. Der weitreichende Dokumentarfilm vom bekannten britischen Regisseur Ali Tabrizi hat bereits hitzige Diskussionen darüber ausgelöst, wie wir die Ozeane behandeln und wie nachhaltig die Lieferkette für Fisch und Meeresfrüchte tatsächlich ist. Falls du unter einem Stein lebst, hast du jetzt einen Must-see auf deiner Netflix-Watchlist.

Der 90-minütige Dokumentarfilm beginnt als Naturdokumentation, in der versucht wird, die Strandung von Walen zu verstehen, wird aber bald zu einer Reise, die die Auswirkungen der kommerziellen Fischerei aufdeckt. Mit versteckten Kameras und Filmen an gefährlichen Orten versucht der Dokumentarfilm, die illegalen Fischereimärkte aufzudecken, die ein tieferes, verborgenes System von Korruption, Sklaverei und Betrug aufweisen, an dem die großen Industrienamen und die Unterstützung der Regierungen beteiligt sind. Die Filmemacher reisen durch die halbe Welt, um neue Erkenntnisse über die Branche zu gewinnen und gleichzeitig ein Gefühl der Dringlichkeit zu bewahren.

Es gibt selten einfache Lösungen. Die in Seaspiracy vorgeschlagene und sehr radikale Lösung „esst (einfach) keinen Fisch mehr“ gehört leider dazu. Dies führt weltweit zu Diskussionen und auch NGOs und andere Institutionen sprechen sich gegen einen kompletten Verzicht aus. Milliarden von Menschen sind auf Fisch und Meeresfrüchte als primäre Proteinquelle angewiesen. Außerdem spielt die Fischereiindustrie eine wichtige Rolle für den Lebensunterhalt von Millionen von Menschen.

Dennoch bleibt die Frage offen: „Sollten wir, als KonsumentInnen, die volle Verantwortung für nachhaltigen Konsum übernehmen?“

 

In den letzten Jahrzehnten gab es in Österreich einen regelrechten Bio-Boom. Der Marktanteil an Bio-Produkten liegt heute bei über 20 Prozent. Veganismus, Recycling, Fairtrade. Das sind Schlagworte, die jeder von uns kennt. Viele von uns versuchen heutzutage nachhaltig zu leben und umweltbewusst einzukaufen, doch können wir so auch die Welt retten?

Man darf nicht vergessen, dass der Umwelteinfluss in der Rohstoffgewinnung und den einzelnen Produktionsschritten am gravierendsten ist. Laut dem ökologischen Konsumparadoxon sollte man sich daher insbesondere auf den Endverbrauch konzentrieren. Dies bedeutet nicht, dass man als KonsumentIn nicht auf seinen ökologischen Fußabdruck achten sollte, jedoch gibt es einige Aspekte, die gegen die Verantwortungsverlagerung auf das Individuum sprechen.

1. In den letzten Jahren konnte seitens der KonsumentInnen ein deutlicher Anstieg an nachhaltigen Produkten vermerkt werden. Der Markt richtet sich nach diesem Trend. Unternehmen stecken Unsummen an Marketingkosten in ihre Produkte, um sie so „grün“ wie möglich zu vermarkten. Dabei sind viele Begriffe wie „grün“, oder „biologisch“ rechtlich nicht abgesichert. Diese können für jedes beliebige Produkt verwendet werden und den Konsumierenden dazu verleiten, das vermeintlich nachhaltige Produkt zu kaufen. Dieser Versuch eines Unternehmens, sich als besonders umweltbewusst darzustellen, wird auch als „Greenwashing“ bezeichnet.

2. Systemeffekte im Bereich des umweltbewussten Handelns sind oft undurchsichtig für das Individuum. Wasser kann zum Beispiel deutlich besser durch eine Reduktion des Fleischkonsums als durch selteneres Duschen gespart werden.

3. Ähnlich verhält es sich mit Umweltzertifikaten. Die Bewertungen sind sehr komplex, da alle Lebensphasen des Produkts berücksichtigt werden sollten, was in der Umsetzung schwer möglich ist. Auch in der Netflix-Doku wird die fehlende Transparenz von Umweltzertifikaten erwähnt. Zertifikate wie zum Beispiel Dolphin Safe, welches speziell für die Fischerei von Thunfisch entwickelt wurde, sind genau zu hinterfragen. Dieses soll sicherstellen, dass bei der Fischerei der Beifang von Delfinen durch bestimmte Fangmethoden vermieden wird. Viele Zertifikate sind in der Theorie sinnvoll, die Praxis sieht jedoch anders aus, da nicht so leicht nachgewiesen werden kann, ob das, was sie versprechen, auch so umgesetzt wird.

4. Des Weiteren gibt es sogenannte Rebound-Effekte: Wenn durch weniger Autofahren Geld gespart werden kann, wird diese kleine Einkommenserhöhung oft für zusätzlichen nicht-nachhaltigen Konsum ausgegeben. Wer beispielsweise den Haushalt mit sparsamen LED-Lampen ausstattet, erliegt leicht der Versuchung, das Licht länger brennen zu lassen.

5. Laut dem Climate Accountability Institute sind nur 20 Firmen für ein Drittel der weltweiten CO2- und Methan-Emissionen seit 1965 verantwortlich. Von diesen 20 sind 12 in staatlichem Besitz, weiters finden sich in diesen Top 20 auch Namen wie Chevron, ExxonMobil, BP and Shell. Wir als KonsumentIn haben zwar Einfluss, aber es bedarf zusätzlich an größerem Umdenken.

Umweltfreundliches Verhalten im System verankern

Diese Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit, umweltfreundliches Verhalten und eine Senkung des CO2-Fußabdrucks nicht nur von den Konsumenten abhängig zu machen, sondern das ganze System zu betrachten. Darüber hinaus sollte sich viel mehr auf die Praxis konzentriert werden und Änderungen bei alltäglichen Abläufen, der Infrastruktur und sozialen Normen angesetzt und bei weiteren Hebelpunkten wie der Infrastruktur konzentriert werden, um so Verhaltensänderungen herbeizuführen.

Ein Beispiel hierfür wäre die Änderung des japanischen Office-Dresscodes, um die Raumtemperatur im Sommer von 20 auf 28 Grad erhöhen zu können, wodurch es zu einer Einsparung von 1,4 Millionen Tonnen CO2 kam. Zum Vergleich, jeder Deutsche hat im Jahr 2017 durchschnittlich 11,3 Tonnen CO2-Äquivalente verursacht.

Was wir als Individuen tun können

Natürlich ist das Handeln des Einzelnen in Bezug auf die Klimakrise noch immer relevant und persönliche Maßnahmen, wie weniger Fleisch zu essen und mehr Zug zu fahren statt zu fliegen, haben einen starken Einfluss auf den einzelnen CO2-Fußabdruck. Jedoch sollten wir nicht vergessen, dass es übergreifende und effektive Maßnahmen vonseiten der Politik und relevanten Entscheidungsträgern braucht, um Klimaziele auch einhalten zu können. Diese können und sollen wir als Endkonsument*in einfordern dürfen.

Wenn du noch mehr über die Thematik wissen möchtest, können wir dir die Lektüre „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit: Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet“ von Ingolfur Blühdorn empfehlen.

Wie hat dir die Doku Seaspiracy gefallen und hast du noch andere Meinungen zu dem Thema? Lass es uns wissen unter nachhaltigkeit@öh-wu.at oder checke unseren Sustainable Survival Guide hier aus!

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STEIL Magazin
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