Generationenwechsel im Klassenzimmer

Wenn Mutter und Tocher Lehrerinnen sind.

Der LehrerInnenberuf hat bei den Bartoschs eine lange Tradition. Seit Generationen unterrichten fast alle weiblichen Mitglieder der Familie SchülerInnen von der Volksschule bis zur Oberstufe. Anna-Maria und Sabine berichten über den Schulalltag zwischen Overhead-Folien und WhatsApp-Eltern-Gruppen.

Das undefinierbare Hellgrün der Wände bildet einen verrückten Kontrast zu den hohen Räumen, dem Stuck an der Decke und dem prunkvollen schwarz-weißen Fußboden, über den vermutlich schon zu K&K-Zeiten Schülerfüße rannten. Bei jedem Schritt wirbeln kleine Wolken Kreidestaub auf. Der Geruch von Putzmittel in der Luft kündigt das baldige Ende der Ferien an. DRRRRR…. Die Schulglocke läutet trotzdem – ein durchdringendes Ge-räusch, das man, egal wie lange es her ist, nicht vergisst. Anna-Maria und Sabine bleiben bei dem Geräusch gelassen. Die Glocke gehört zum ihrem Alltag, denn Mutter und Tochter sind beide Lehrerinnen.

 

 

In die Wiege gelegt


Anna-Maria unterrichtet die Fächer Mathematik und Musik in einer AHS in Mödling, und Sabine ist Religionslehrerin in der Volksschule im niederösterreichischen Hohenau. Dass Anna-Maria den gleichen Beruf wie ihre Mutter ergreifen wird, hat sich recht früh herauskristallisiert. Nachdem die Idee, Kindergärtnerin zu werden, aufgrund von mangelndem Interesse an Bastelarbeiten wieder verworfen wurde, war der Lehrberuf naheliegend. Außerdem war die heute 28-Jährige schon als Kind die Vernünftige, die auf die kleinen Geschwister aufgepasst hat und dahinter war, dass jeder der Brüder die Hausauf-gaben macht. Sabine bestätigt: 

Anna-Maria hat sich schon im Kindergarten zwischen die streitenden Kinder gestellt.

Neben dem schönen Gefühl, jemandem helfen zu können, und der verantwortungsvollen Rolle in der Erziehung und Bildung von jungen Menschen, war für Anna-Maria aber auch eines entscheidend bei der Berufswahl: die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit. „Ich habe bei meiner Mutter gesehen, wie es läuft. Meine Mama war in den Ferien zu Hause und hatte viel Zeit für uns Kinder. Für mich war schon immer klar, dass ich Familie möchte. Die Tatsache, dass der Lehrberuf dies zulässt, hat für mich auf jeden Fall mitgespielt“, erzählt Anna-Maria, während sie mit der rechten Hand über ihren schon sehr runden Babybauch streicht. Mit der Entscheidung ist sie nicht alleine. Sie und Sabine sind nicht die einzigen Frauen in der Familie, die Lehrerinnen geworden sind. Das hat sich in den letzten paar Generationen als der ‚Damenberuf‘ bei den Bartoschs abgezeichnet, wie ihn die beiden gerne nennen.


Was war der erste Tipp, den Sabine ihrer Tochter am Anfang des Unterrichtens mitgegeben hat? Konnte sie überhaupt helfen? Natürlich konnte sie: „Ich habe ihr geraten: ‚Lass dich nicht stressen.‘ Gerade am Anfang ist man oft überfordert, und der Lehrplan scheint endlos.“ Sabine hat 1992 ihr Studium an der damals Religionspädagogischen Akademie abgeschlossen. Jetzt sitzt sie mit einem Bein in der Luft, mit einem am Boden, halb auf der vorderen Kante des Lehrertisches, und wischt sich letzte Kreidereste von den Händen. Unverkennbar: Das Klassenzimmer ist ihr natürliches Umfeld. Auch Anna-Maria hat bereits dieses freundliche, aber bestimmte Auftreten, das man noch allzu gut aus der eigenen Schulzeit kennt. Dass sie Mutter und Tochter sind, sieht man auf den ersten Blick.

 

Anna-Maria Kaiblinger (28)
schloss 2014 ihr Mathematik- und Musik-Studium auf Lehramt an der Uni Wien ab, machte ihr Referendariat an einer AHS in Mödling und ist seit den Sommerferien in Karenz. In ihrer eigenen Kindheit merkte sie bereits wie familienfreundlich der Beruf ist, denn auch Mutter Sabine Bartosch (51) ist Lehrerin. Sie schloss 1992 ihr Studium an der Religionspädagogischen Akademie in Wien ab und unterrichtet seitdem an einer niederösterreichischen Volks- und Sonderschule.


Bei so vielen Gemeinsamkeiten verwundert es auch nicht, dass sich die beiden immer wieder über ihren Job austauschen. Es tut einfach gut, mit jemandem, der einen wirklich versteht, über die Probleme und kleinen Fragen des Alltags in der Schule reden zu können. Hauptsächlich werden aber pädagogische Themen besprochen. Wenn man fachlich nicht weiterkommt, sind die KollegInnen im Lehrerzimmer meist die richtigen Ansprechpartner-Innen. Was man allerdings bei SchülerInnen, die so gar nicht folgen wollen, am besten tut, fragt man gerne auch mal die Mama, die da schon mehr Erfahrung hat. Umgekehrt profitiert Sabine von den moderneren Zugängen ihrer Tochter zum Unterricht. „Zwar verwende ich immer noch einen Overhead-Projektor, aber ich schaue mir schon auch Dinge von meinen jüngeren Kolleginnen und von Anna-Maria ab. Bei denen, die noch frisch vom Studium kommen, kann man sich gute Tipps holen.“


Trotz drei Jahren Arbeitserfahrung, ist Anna-Maria noch auf der Suche nach ihrem eigenen Weg, sei es bei Kleinigkeiten wie der Frage: „Heft oder Mappe?“, oder auch bei der Art und Weise, wie man den SchülerInnen am besten Medienkompetenz vermittelt. Und das ist in ih-ren Augen gar nicht schlimm. Anna-Maria ist es wichtig, in ihrer Arbeitsweise auch in Bewegung zu bleiben, denn sonst passiert genau das, was im Bildungssystem oft mal kritisiert wird: Es bleibt starr.

 

Schule zwischen gestern und morgen


Zurzeit tut sich in dem Bereich aber sehr viel, und das liegt gar nicht immer nur an den LehrerInnen. Frontalunterricht, wie man das von früher her kennt – da machen die SchülerInnen von heute einfach nicht mehr mit. „Sie fordern mehr!“, stellt Anna-Maria fest. „Und das ist auch gut so“, ergänzt Sabine sofort. „Sieh dir die Welt an! Bei so vielen Eindrücken, da müssen die Kinder mal mitkommen.“ Natürlich muss man auf gesellschaftliche Veränderungen, wie vibrierende Smartphones in der Unterrichtsstunde und WhatsApp-Gruppen zwischen LehrerInnen und Eltern, reagieren. Overhead-Folien, die nicht in Farbe ausgedruckt sind, werden sogar von 8-Jährigen bekrittelt. „Mama, vielleicht musst du es eben doch mal mit Power Point versuchen“, schlägt Anna-Maria lachend vor. In den meisten Gymnasien und AHS ist das Handy im Unterricht ohnehin ein großes Thema. Im besten Fall wird hier aber in der Einheit nach aktuellen BundesministerInnen oder Geburtsdaten von Johann Strauß gegoogelt, anstatt sich auf Snapchat rumzutreiben. Denn Internetrecherche muss auch gelernt sein. Diese Punkte beschäftigen Sabine in ihren Volksschulklassen noch nicht so, doch die Vermittlung von Soft Skills hat sich auch hier verän-dert. Man muss den Kindern erst wieder lernen, länger bei einer Aufgabe zu verweilen.


„Aber nicht länger als zehn Minuten pro Einheit“, wirft Anna-Maria sofort ein. Dann muss man sie etwas anderes machen lassen. Länger können sie sich nicht konzentrieren. Diese Faustregel hat Sabine ihr ganz am Anfang ihrer Unterrichtszeit beigebracht. Und daran hält sie sich noch immer. Dieses Jahr sieht Anna-Maria dem Schulanfang ganz gelassen entgegen. Da sie im Dezember ein Baby erwartet, ist sie seit den Sommerferien in Karenz. Was sie Sabine am Telefon sagt, nachdem sie ihr einen schönen Schulstart gewünscht hat: „Mama, lass dich nicht stressen.“

Fotocredits: (c) Niko Havranek

Autorin
Anna Gugerell
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